Hier und Anderswo

Was jetzt hier ist, ist später dort, dafür was jetzt dort ist, später hier. Wir bewegen uns von einem Ort zu einem anderen; die Orte sind benennbar und beschreibbar. Wir wissen, daß all diese Orte nicht die einzigen sind, daß es unzählige andere Orte gibt, die Hiers Anderer, aber auch die Dorts, an denen niemand ist. Unzählige Orte, denn erst unser Begrenzen erzeugt einen Ort. Diese anderen Orte nehmen wir, nicht differenzierend, einfach als Anderswo. Aber ihre Namen und Bilder sind an unserem jeweiligen Hier. Und immer wieder diejenigen, die aus ihnen gekommen sind. Wofern wir nicht starr eingebunden sind in den Wechsel unserer Hiers oder uns Fremdes nicht beängstigt oder auch minderer Natur zu sein scheint, lassen wir uns anregen.
Da verläßt also eine die gewohnten Wege zwischen Zürich, Castasegna, Canete, Berlin und Wien, in Richtung Groß Köris oder Comiso. Dort gewonnene Eindrücke schlagen sich ihr in Radierungen nieder, die ein altes Wohnhaus zeigen, aufgehängte Wäsche, einen verlassenen Garten.
Gewohnte Wege werden nicht nur auf Abzweigungen verlassen, sondern auch indem man auf ihnen an Bilder des Fremden gerät. Auch so werden Eindrücke gewonnen, die in einer Radierung Gestalt gewinnen können: die sich wandelnden Lichtverhältnisse einer Landschaft bei Dubrovnik, die kleine Kirche inmitten slowenischer Felder, die kroatischen Wasserbüffel.
Und noch auf eine dritte Weise werden gewohnte Wege verlassen: Auf ihnen, die in Wahrheit nicht nur von einem zu einem anderen Hier führen, sondern selbst ein sich stetig veränderndes Hier sind, kann differenzierende Wahrnehmung in der Tat neue Hiers, neue Orte, die von den gewohnten her gesehen ins Anderswo gehören, erzeugen. Und auch hier Eindrücke gewinnen, die sich in Radierungen niederschlagen. Der Betrachter mag sich dann fragen, ob nicht jede Radierung, die etwa auf den gewohnten Wegen in der Val Bregaglia entstanden zu sein scheint, nicht eigentlich in einem zum Anderswo differenzierten Hier entstanden ist.

Rainer Lambrecht




Maya Griesser

Biografie

Geboren 1953 – aufgewachsen in Castasegna/Bergell.
1970 – 1974 Ausbildung als Tiefdruckretuscheurin in Zürich.
Ab 1975 intensive Auseinandersetzung mit der Radiertechnik
1975 – 1982 in Schaffhausen als Tiefdruckretuscheurin tätig
1982 – 1989 Residenz in Canete, Villa di Chiavenna
1990 – 2015 in der Grafischen Industrie und in der Gewerkschaft tätig
Ab 2011 eigenes Druckatelier in Zürich
Ab 2016 Angebot von Radierkursen

Ausstellungen

1976 – 2020 Gruppenausstellungen in der Schweiz und in Italien.
1986 – 2020 Ausstellungen zu zweit oder einzeln in der Schweiz und Italien